Algen als Rohstoffquelle: Chemische Tricks aus dem Meer
Algen könnten in Zukunft zum wichtigen Rohstoff werden – wenn man ihre Chemie versteht. Mit Beteiligung der TU Wien hat man nun entschlüsselt, wie Algen-Biomasse zerlegt wird.
Algen sind die Basis des Ökosystems im Meer. Sie speichern mehr Kohlenstoff als alle Landpflanzen zusammengenommen. Die Kohlenhydrate der Algen werden von Bakterien abgebaut, dadurch werden sie zur wichtigen Energiequelle für die gesamte marine Nahrungskette. Was bei diesem Abbau von Algen-Biomasse chemisch genau passiert, war bisher allerdings unbekannt.
Nun gelang es einem internationalen Forschungsteam, den kompletten Abbauweg eines wichtigen Polysaccharids zu analysieren und zu verstehen. Eine ganze Palette von Enzymen ist dafür notwendig, ihre biochemische Funktion konnte nun erstmals aufgeklärt werden. Mit diesem Wissen wird es nun möglich, Algen als Rohstoffquelle zu nutzen: Sie lassen sich für Fermentationen einsetzen, für die Herstellung wertvoller Arten von Zucker oder in Zukunft sogar auch für spezielle Bio-Kunststoffe. Das übergeordnete Ziel ist eine umweltschonende Kreislaufwirtschaft, in der man nachwachsende Rohstoffe möglichst vielfältig nutzt.
Das Forschungsprojekt wurde von der Universität Greifswald geleitet, beteiligt waren außerdem die TU Wien, das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (Bremen), die Universität Bremen, das Zentrum für Marine Umweltwissenschaften Marum und die Biologische Station Roscoff (Frankreich). Publiziert wurden die Forschungsergebnisse nun in der Fachzeitschrift Nature Chemical Biology.
Makromoleküle in ihre Puzzlesteine zerlegen
Den meisten Menschen fallen Algen normalerweise eher unangenehm auf – etwa dann, wenn sie bei einer Algenblüte in Küstennähe massenhaft wuchern. Aber in Zukunft könnte man Algenteppiche als willkommenen Ausgangsstoff für die Industrie verwenden. "Um Algen zu nutzen, muss man die großen Moleküle, die sie produzieren, in verwertbare Einzelteile zerlegen", erklärt Christian Stanetty vom Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien. "Das ist ein hochkomplizierter Vorgang – aber zum Glück haben wir die Natur als Vorbild: Bestimmten Bakterien gelingt das nämlich ganz ausgezeichnet."
Das internationale Forschungsteam analysierte, wie das Meeresbakterium Formosa agariphila das Polysaccharid Ulvan abbauen, das von der Alge Ulva produziert wird. Dieser Abbauprozess ist ein kleines chemisches Kunststück: In mehreren Schritten unter Einsatz von zwölf verschiedenen Enzymen wird das Ausgangsmolekül in immer kleinere Puzzleteile zerlegt. "Unsere Aufgabe an der TU Wien war es, mit Hilfe von Kernspinresonanz-Spektroskopie (NMR) sowie Massenspektrometrie zu klären, wie diese Puzzleteile genau aussehen", sagt Christian Stanetty. "Dabei haben wir einige Überraschungen erlebt – manche der Zerlegungsprodukte sahen anders aus als erwartet. Das zeigte uns dann, dass die Bakterien beim Abbau des Zuckers andere chemische Pfade einschlagen als gedacht."
So konnte man auch herausfinden, welche Enzyme die Bakterien in welchem Schritt nutzen. "Damit verstehen wir nicht nur, wie diese Mikroorganismen Zugang zu dieser Nahrungsquelle erhalten. Die nun verfügbare Toolbox einer ganzen Palette an neuen Biokatalysatoren eröffnet jetzt die Möglichkeit, dieses komplexe marine Polysaccharid gezielt als Rohstoffquelle für Fermentationen zu verwenden", sagt Prof. Uwe Bornscheuer von der Universität Greifswald.
Der Einsatz von Algen zur Synthese von Kohlenwasserstoffen ist völlig CO2-neutral. Wenn es gelingt, auf diese Weise Produkte zu erzeugen, die man bisher auf Basis fossiler Rohstoffe produziert hat, wäre das ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz. "Das ist absolut realistisch", glaubt Prof. Marko Mihovilovic von der TU Wien. "Vorerst wird man eher einfache Produkte nutzen, etwa spezielle Arten von Zucker. Aber je besser wir die Chemie dahinter verstehen, desto besser wird es gelingen, diese Algen auch als Ausgangsstoffe komplizierter Synthesen zu nutzen, bis hin zu Bioplastik."
Das Ziel: die Kreislaufwirtschaft biogener Rohstoffe
Besonders wichtig für den Erfolg war die interdisziplinäre Zusammenarbeit: "Wissenschaftlich derart komplexe Fragestellungen kann man nur gemeinsam beantworten", betont Marko Mihovilovic. "Schon lange arbeiten wir mit unseren Partnern aus Deutschland sehr erfolgreich zusammen. Das werden wir auch in Zukunft fortsetzen – so gelingen wesentliche Schritte vorwärts, hin zu einer nachhaltigen Chemie, die eine echte, ökologisch sinnvolle Kreislaufwirtschaft ermöglicht."
Originalpublikation
Webseite der DFG Forschungsgruppe „Proteogenomik des marinen Polysaccharid-Abbaus“: http://www.pompu-project.de/
Kontakt
Dr. Christian Stanetty
Institut für Angewandte Synthesechemie
Technische Universität Wien
Getreidemarkt 9, 1060 Wien
T: +43-1-58801-163619
christian.stanetty@tuwien.ac.at
Prof. Marko Mihovilovic
Institut für Angewandte Synthesechemie
Technische Universität Wien
Getreidemarkt 9, 1060 Wien
T: +43-1-58801-15420
marko.mihovilovic@tuwien.ac.at
Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
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florian.aigner@tuwien.ac.at