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Grazer Forscher präsentieren Beurteilungsskala für seltenen Immundefekt

13.01.2020

Frühzeitige Stammzelltransplantation als neue Therapieempfehlung

Beim „LRBA-Defekt“ handelt es sich um eine seltene angeborene genetische Störung des Immunsystems, die durch eine Mutation im „LRBA-Gen“ verursacht wird. Die Erkrankung ist mit lebensbedrohlichen Autoimmunerscheinungen, wie Entzündungen und Blutbildveränderungen, vermehrten Infektionen und Lymphknotenschwellungen als auch erhöhtem Krebsrisiko verbunden, wobei die Symptome nicht bereits unmittelbar nach der Geburt auftreten müssen. ForscherInnen an der Medizinischen Universität Graz ist nun im Rahmen einer weltweiten Studie der Durchbruch in der Bewertung der Krankheitsaktivität verbunden mit der Definition neuer Therapieempfehlungen gelungen. In einer frühzeitigen Stammzelltransplantation sehen die WissenschafterInnen den optimalen Behandlungspfad.

Internationale Forschung: Weltweite Studie zu seltener Erkrankung

Im Rahmen einer großen internationalen Studie, die weltweit an 29 Zentren durchgeführt und von Markus Seidel an der klinischen Abteilung für pädiatrische Hämato-Onkologie der Med Uni Graz initiiert und gesteuert wurde, befassten sich rund 50 internationale Kolleginnen und Kollegen mit dem „LRBA-Defekt“. Bei dieser seltenen angeborenen genetischen Störung des Immunsystems kommt es zu lebensbedrohlichen Folgen für das Immunsystem, verbunden mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen. Gemeinsam mit seiner Kollegin Victoria Tesch untersuchte Markus Seidel die Daten von 76 Menschen weltweit, die an einem LBRA-Defekt erkrankt sind. Dabei wurde ein durchschnittlicher Zeitraum von 10 Jahren herangezogen, um den Krankheitsverlauf, Belastungen durch Komplikationen und Spitalsaufenthalte als auch die Wirksamkeit von Therapien zu beobachten. Die bahnbrechenden Forschungsergebnisse wurden nun in Form einer Beurteilungsskala mit Therapieempfehlung im renommierten Journal of Allergy and Clinical Immunology, mit Victoria Tesch als Erstautorin und Markus Seidel als Letztautor, veröffentlicht.

LRBA-Defekt: Medikamentöse Therapie kann nur Symptome lindern

„Die Beurteilung der Gefährlichkeit eines ‚profunden kombinierten Immundefekts‘, der nicht gleich im ersten Lebensjahr zu bedrohlichen Infektionen führt, sondern sich erst später durch das Ungleichgewicht des Immunsystems mit Autoimmunität zeigt, ist oft sehr schwierig“, fasst Markus Seidel die Herausforderung an die ärztliche Betreuung zusammen. In vielen Fällen haben derartige Erkrankungen unterschiedliche molekulare Grundlagen. Zwar gibt es Medikamente, die einen Teil der krankheitsbedingten Symptome über einen längeren Zeitraum gezielt zurückdrängen können, diese präzisen Medikamente sind aber häufig auch mit Nebenwirkungen verbunden. „Was die Medikamente meistens nicht verhindern können, ist ein mit der Erkrankung verbundenes erhöhtes Risiko für Infektionen und Krebserkrankungen“, betont Markus Seidel. Die Alternative zur medikamentösen Therapie des „LRBA-Defekts“ bildet die Stammzelltransplantation. „Diese Therapieoption birgt jedoch immer die Gefahren von ‚Spender-gegen-Empfänger-Unverträglichkeiten‘ und lebensbedrohlichen Infektionen“, sagen die beiden WissenschafterInnen Victoria Tesch und Markus Seidel und ergänzen: „Eine bessere Beurteilbarkeit der Krankheitsaktivität war uns vor allem wegen der Zukunftsaussichten und unmittelbar anstehenden Therapieentscheidungen zweier steirischer Mädchen wichtig, die mit dieser Erkrankung an unserer Abteilung behandelt werden.“

Therapieempfehlung: Stammzelltransplantation bereits zu Krankheitsbeginn

Bis dato wurde eine Transplantation von Stammzellen nur bei jenen Patientinnen und Patienten durchgeführt, bei denen die Krankheit einen besonders schweren Verlauf nach sich zog. Im Rahmen der Studie haben die beiden Grazer ForscherInnen einen „Score“ entwickelt, der den Krankheitsverlauf, Belastung durch Komplikationen und Spitalsaufenthalte und die Wirksamkeit verschiedener Medikamente beziehungsweise einer Stammzelltransplantation retrospektiv beurteilt. Dabei haben die WissenschafterInnen herausgefunden, dass man den Austausch des gestörten Immunsystems durch eine Transplantation von einem gesunden Spender nicht nur Patientinnen und Patienten mit besonders schweren Verläufen vorbehalten sollte, sondern im Gegenteil bereits frühzeitig bei noch geringer Krankheitsbelastung durchführen sollte. „Im Rahmen der Studie konnten wir außerdem feststellen, dass Patientinnen und Patienten mit LRBA-Defekt ohne Beteiligung der Lunge, nach einer Vorbehandlung mit gezielten Immunsuppressiva und erfolgreicher Stammzelltransplantation den besten Langzeitverlauf aufweisen“, beschreibt Victoria Tesch.

Der von Victoria Tesch und Markus Seidel nun präsentierte „Immundefekt- und –dysregulations-Aktivität– kurz IDDA -Score“ könnte in Zukunft bei vielen ähnlichen Erkrankungen eingesetzt werden, um die Situation Betroffener und die Wirksamkeit von Therapiemaßnahmen besser und standardisiert bewerten zu können. Die Studien und die Forschungseinheit für pädiatrische Hämatologie und Immunologie von Markus Seidel an der Medizinischen Universität Graz werden von der Steirischen Kinderkrebshilfe unterstützt.

Weitere Informationen und Kontakt

Univ.-Prof. PD Dr. Markus Seidel
Professor für Translationale Pädiatrische Hämatologie und Immunologie
Klinische Abteilung für pädiatrische Hämato-Onkologie
Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde
Medizinische Universität Graz
Tel.: +43 316 385 80215
markus.seidel@medunigraz.at
https://www.jacionline.org/article/S0091-6749(19)32603-X/abstract