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Magenschutzmedikamente sollten kein Lifestyleprodukt sein

30.09.2019

ExpertInnen beobachten negative Auswirkungen auf das Mikrobiom bei Leberzirrhose

Die Entwicklung sogenannter Protonenpumpenhemmer – umgangssprachlich als „Magenschutz“ bekannt – markiert einen Meilenstein in der Behandlung säurebedingter Erkrankungen des Verdauungstraktes. Innerhalb von knapp 30 Jahren wurden derartige Medikamente zu einem der umsatzstärksten und meistverschriebenen Arzneimittel. WissenschafterInnen der Med Uni Graz haben nun herausgefunden, dass Protonenpumpenhemmer das Mikrobiom von Patientinnen und Patienten mit Leberzirrhose stark beeinflussen, was dazu führt, dass gesundheitsschädliche Bakterien bessere Bedingungen vorfinden und sich dadurch auch stärker vermehren. Daher arbeiten die Wissenschafterinnen an Therapiemöglichkeiten, um das Mikrobiom zu stabilisieren, wenn Patientinnen und Patienten auf eine Dauertherapie mit Protonenpumpenhemmern angewiesen sind.

Magenschutzmedikamente: Gefährlicher Trend zur Selbstmedikation

Protonenpumpenhemmer – kurz PPI – sind zu einem unverzichtbaren Medikament in der Behandlung säurebedingter Erkrankungen des Verdauungstraktes, wie zB. Magengeschwüre oder Speiseröhrenentzündungen, geworden. PPI wirken schnell und zuverlässig und weisen zusätzlich ein günstiges Nebenwirkungsprofil auf. „Aufgrund der geringen bzw. kaum nachweisbaren Nebenwirkungen werden Medikamente zum Magenschutz auch außerhalb der angedachten Einsatzgebiete verwendet – wie beispielsweise präventiv zum Schutz des Magens, wenn mehrere andere Medikamente eingenommen werden müssen“, erklärt Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Med Uni Graz. Nachdem PPI teilweise nicht mehr rezeptpflichtig sind, greifen viele Menschen zur Selbstmedikation und verwenden PPI als Lifestyle-Medikament ohne klare Indikation. „In den letzten Jahren häufen sich aber Berichte über mögliche negative Langzeitfolgen der PPI Einnahme – von einem erhöhten Allergierisiko, einer erhöhten Sterblichkeit, Osteoporose, Vitamin- und Mineralstoffmangel bis hin zur Demenz wurde berichtet“, fasst die Expertin zusammen.

Lebererkrankungen: PPI stören das Mikrobiom nachhaltig

Die wissenschaftliche Arbeitsgruppe von Vanessa Stadlbauer-Köllner beschäftigt sich mit der Erforschung von Veränderungen des Darm-Mikrobioms bei chronischen Lebererkrankungen. Chronische Lebererkrankungen und die Leberzirrhose sind in Österreich sehr häufig, wobei der Hepahealth Report 2018 für Österreich einen unrühmlichen Spitzenwert von 1.100/100.000 Fällen zeigt. Da auch die Verwendung von PPI bei chronischen Lebererkrankungen häufig ist – die Hälfte der Patientinnen und Patienten nimmt einen PPI, in 50% ohne nachvollziehbaren Grund – untersuchte Angela Horvath aus der Arbeitsgruppe von Vanessa Stadlbauer-Köllner die Auswirkungen von PPI auf das Mikrobiom bei Leberzirrhose und machte eine besorgniserregende Entdeckung.

In der aktuell in „Scientific Reports“ publizierten Arbeit zeigt sie, dass PPI das Mikrobioms von Zirrhose-Patientinnen und Patienten immens beeinflussen. „Im bereits durch die Zirrhose vorgeschädigten Mikrobiom kommt es zu einer weiteren Reduktion der Diversität und zu einem Verlust der Kolonisationsresistenz – das bedeutet, dass schädliche Bakterien bessere Bedingungen vorfinden um sich zu vermehren“, erklärt Angela Horvath. Bei Zirrhose sind das vor allem Bakterien aus dem Mund, die dann im Darm zu finden sind (zB. Veillonella parvula und Streptococcus salivarius). „Diese Veränderung in der Zusammensetzung des Mikrobioms führt zu einer Entzündungsreaktion im Darm und einer Darmbarrierestörung. Dadurch treten bakterielle Produkte vermehrt über den Darm in den Kreislauf ein“, so die Expertin weiter. Zudem stellte Angela Horvath fest, dass Patientinnen und Patienten mit Zirrhose und Einnahme eines PPI häufiger an Komplikationen der Zirrhose versterben als Patientinnen und Patienten, die keinen PPI einnehmen.

ExpertInnen arbeiten an Therapiekonzepten bei Dauermedikation

Vanessa Stadlbauer-Köllner und ihr Team ziehen aus den aktuellen Forschungsergebnissen mehrere Schlüsse. Einerseits muss die Sinnhaftigkeit der Verschreibung von PPI – wie bei jedem anderen Medikament auch – für jeden Patienten/jede Patientin individuell geprüft werden. Nur wenn ein PPI medizinisch Sinn macht, sollte er auch verschrieben und verwendet werden. Andererseits gibt es natürlich Menschen, die auf eine Dauertherapie mit PPI angewiesen sind (zB. chronische Refluxerkrankung oder die Einnahme mehrerer magenschädigender Medikamente gleichzeitig). Für diese PatientInnengruppe wird es notwendig sein, Therapiekonzepte zu entwickeln, die vor den negativen Folgen der PPI auf das Mikrobiom schützen. Die Arbeitsgruppe von Vanessa Stadlbauer-Köllner arbeitet momentan daran, das Darm-Mikrobiom mittels Probiotika so zu stabilisieren, dass PPI keinen negativen Effekt haben.

Weitere Informationen:

Mag.a Angela Horvath, PhD und
Assoz.-Prof.in PDin Dr.in Vanessa Stadlbauer-Köllner
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
Tel.: +43 316 385 82282
angela.horvath@medunigraz.at
vanessa.stadlbauer@medunigraz.at