Neue Erkenntnisse, wie sich Zellen mit defekten Genen in den Mitochondrien selbst ausschalten
BOKU-Forschung auf Gen-, Zellorganell- und Zellebene am Modelltier Maus eröffnet die Möglichkeit neuer Ansätze zu Diagnose und Therapie mitochondrialer Erkrankungen beim Menschen.
Mitochondrien gelten als Kraftwerke der Zellen. Sie besitzen einige eigene Gene, die durch oxidative Radikale, die dort bei Stoffwechselvorgängen vermehrt entstehen, einer erhöhten Mutationsrate ausgesetzt sind. In einer sehr frühen Phase der Embryonalentwicklung bei der Maus erfolgt bereits ein Aussortieren von Zellen mit genetischen Defekten in den Mitochondrien als eine Art „physiologischer Reingungsprozess“. Um den Tag 6 der Entwicklung herum werden so bis zu 35% der Zellen eliminiert.
Durch Konkurrenz mit gesunden Zellen ohne Mutationen, die deren Fitness reduzieren, werden diese Zellen zur Apoptose, dem selbstgesteuerten Zelltod, gedrängt. „Wie das für bestimmte Zellen festgelegt und dann durchgeführt wird, haben wir in dieser Arbeit untersucht. Es wurden u.a. Transkriptions (RNA)-Profile von frühen Mausembryonen auf Einzel-Zell-Ebene erstellt. Dabei fiel auf, dass zum Untergang bestimmte Zellen häufig Fehler bei der Proteinsynthese mitochondrialer Gene aufwiesen und auch andere wichtige Gene deutlich herauf- oder herunterreguliert waren“, so Thomas Kolbe vom Department für Agrarbiotechnologie der BOKU. Es erfolgt dann auf Einzel-Zell-Ebene eine Stress-Reaktion, welche andere Gene aktiviert oder deaktiviert und damit letztendlich zum selbstinduzierten Tod der Zelle führt. Durch diesen Mechanismus werden schon in frühester Embryonalentwicklung alle Zellen aussortiert, deren Fitness in Konkurrenz zu allen anderen Zellen nicht den hohen Anforderungen eines gesunden Organismus entsprechen.
Zwischen embryonalen Zellen mit nicht-pathologischen mitochondrialen DNA-Varianten lässt sich ebenfalls eine heftige Konkurrenz nachweisen: Zellen mit der jeweils leistungsfähigeren Mitochondrien-Variante haben einen Vorteil und drängen Zellen mit anderen Varianten in den kontrollierten Zelltod. Kolbe: „Zellkonkurrenz führt schon im frühen Embryo zur gezielten Eliminierung von Zellen, deren Mitochondrien Defekte aufweisen oder auch nur einfach weniger leistungsfähig sind, mit dem Ziel einen gesunden und vitalen Organismus zu bilden.“
Das Verständnis dieser Vorgänge auf Gen-, Zellorganell- und Zellebene am Modelltier Maus eröffnet die Möglichkeit neuer Ansätze zu Diagnose und Therapie mitochondrialer Erkrankungen beim Menschen.
“Cell competition acts as a purifying selection to eliminate cells with mitochondrial defects during early mouse development” wurde soeben in Nature Metabolism publiziert:
https://www.nature.com/articles/s42255-021-00422-7.
Ana Lima, Gabriele Lubatti, Jörg Burgstaller, Di Hu, Alistair Green, Aida Di Gregorio, Tamzin Zawadzki, Barbara Pernaute, Elmir Mahammadov, Salvador Perez Montero, Marian Dore, Juan Miguel Sanchez, Sarah Bowling, Margarida Sancho, Thomas Kolbe, Mohammad Karimi, David Carling, Nick Jones, Shankar Srinivas, Antonio Scialdone, and Tristan A. Rodriguez.
Kontakt:
Ao.Univ.Prof. Dr. Thomas Kolbe
Department für Agrarbiotechnologie/IFA-Tulln
Universität für Bodenkultur Wien