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Unbekanntes Leben: Wie „Urbakterien“ die Gesundheit beeinflussen Kleinstlebewesen vermutlich an vielen Prozessen im Körper beteiligt

10.08.2020

Die Erforschung der Rolle des Mikrobioms für die Gesundheit ist ein innovatives Forschungsgebiet an der Med Uni Graz. Aber nicht nur Bakterien, auch Pilze, Viren und Archaeen sind ein wichtiger Teil eines funktionierenden Mikrobioms. Besonders Archaeen sind noch weitgehend unbekannt und wenig erforscht. WissenschafterInnen an der Med Uni Graz untersuchen gemeinsam mit KollegInnen aus Deutschland und Frankreich die Rolle, welche Archaeen für Gesundheit und Krankheit spielen. Erste Forschungsergebnisse wurden kürzlich prominent im hochrangigen Journal „nature reviews microbiology“ publiziert.

Ungewöhnliche Lebensräume: Archaeen mögen es extrem

Archaeen sind einzellige Lebewesen mit einer Vielzahl an besonderen Eigenschaften. Bestimmte Vertreter können zum Beispiel in konzentrierter Salzsäure leben, oder bei extremen Temperaturen mit einer Wachstumstemperatur bis max. 121°C. „Durch den Einsatz neuer molekularbiologischer Methoden gelang es, Archaeen in großen Mengen auch in einer Vielzahl von Ökosystemen, abseits extremer Bedingungen nachzuweisen, wie in der Erde oder im Meerwasser“, berichtet Christine Moissl-Eichinger, Professorin für interaktive Mikrobiomforschung an der Med Uni Graz. Für die Wissenschafterin und ihre KooperationspartnerInnen an der Christian Albrechts Universität Kiel, dem Pasteur Institut Paris und der Universität Clermont-Auvergne sind vor allem die methanbildenden Archaeen – die sogenannten Methanogenen – von großem wissenschaftlichen Interesse. Sie stellen die größte biogene Ursache für Methanbildung dar und tragen somit erheblich zum Klimawandel bei. Doch nicht nur indirekt durch den Klimawandel, auch als ständige Begleiter auf und im menschlichen Körper, spielen sie für die Gesundheit eine wichtige Rolle.

Vielfältiges Mikrobiom: Methanbildende Archaeen als „Mitbewohner“

Im menschlichen Mikrobiom befindet sich eine Vielzahl an Archaeen. So tummeln sich diese Lebewesen beispielsweise auf der Haut, in der Mundhöhle und im Darm. „Bisher wurde unter den Archaeen noch kein einziger Pathogener identifiziert, also kein direkt krankheitsverursachendes Kleinstlebewesen“, beschreibt Christine Moissl-Eichinger. Insgesamt ist über die Rolle der Archaeen für Gesundheit und Krankheit noch sehr wenig bekannt. Dies nahmen sich die WissenschafterInnen um Christine Moissl-Eichinger zum Anlass, um das Wissen über das sogenannte Archaeom des Menschen, der Pflanzen und Tiere neu zu evaluieren.

Dabei stellten die ForscherInnen fest, dass vor allem methanbildende Archaeen prädestiniert für die Vergesellschaftung mit Lebewesen sind. „Methanogene leben bevorzugt in sauerstoffarmen Umgebungen, wie dem Darm. Dort unterstützen sie Bakterien in ihrer Stoffwechselaktivität maßgeblich“, so die Expertin. Als Endprodukt entsteht dabei Methan, ein Gas, das bei rund 20% der Bevölkerung sogar im Atem nachweisbar ist. Insgesamt produziert der Mensch im Durchschnitt 0,35l Methangas täglich.

Viele Forschungsfragen sollen nun beantwortet werden

Obwohl bisher kein pathogenes Archaeon nachgewiesen wurde, wird eine aktive Interaktion von Methanobrevibacter smithii und Methanosphaera stadtmanae, den beiden häufigsten Archaeen im Darmtrakt, mit dem Menschen und auch dem restlichen Mikrobiom sehr deutlich. Im Laufe der Evolution haben sich diese Archaeen aktiv an das menschliche Ökosystem angepasst, und auch das Immunsystem erkennt diese Mitbewohner und reagiert entsprechend auf sie. Die Aktivierung des Immunsystems ist interessanterweise deutlich different bei den Hauptvertretern Methanobrevibacter smithii und Methanosphaera stadtmanae, die zusätzlich in ganz unterschiedlicher Anzahl vorkommen, häufig in Korrelation zum Gesundheitszustand. Letzteres legt zumindest nahe, dass Archaeen eine Rolle in der menschlichen Gesundheit spielen könnten oder aber auch in der Entwicklung von Krankheiten.

Es wird vermutet, dass sich ein frühes „Zusammentreffen“ von Kindern mit Archaeen positiv bezüglich eines Asthmarisikos auswirkt. Manche Archaeen spielen auch eine wichtige Rolle beim Abbau von Trimethylaminen, Schlüsselmolekülen in der Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen und könnten so beispielsweise Arteriosklerose vorbeugen. Eine erhöhte Anzahl von Methanogenen wurde auch mit Vaginosen, Parodontitis, Sinusitis, Darmkrebs, entzündlichen Darmerkrankungen und anderen Beschwerden in Verbindung gebracht. In diesem Fall vermuten die WissenschafterInnen, dass die Archaeen allerdings nicht ursächlich beteiligt sind, sondern lediglich die pathogene Aktivität der Bakterien durch den Abbau von hemmenden Stoffwechselprodukten unterstützen.

Diesen und weiteren Fragen möchten sich Christine Moissl-Eichinger und ihre KollegInnen demnächst widmen, um die tatsächliche Rolle von Archaeen für Gesundheit und Krankheit und auch die medizinische Rolle des durch Archaeen gebildeten Methans zu untersuchen. Derzeit laufen an der Medizinischen Universität Graz zwei vom FWF geförderte Forschungsprojekte zu diesem Thema.

Weitere Informationen und Kontakt

Univ.-Prof.in Dr.in Christine Moissl-Eichinger
Universitätsprofessorin für das Fach „Interaktive Mikrobiomforschung“
Medizinische Universität Graz
Tel.: +43 316 385 73770
christine.moissl-eichinger@medunigraz.at