Wie souverän kann und muss ein Staat bei system-relevanten Technologien sein?
Rat für Forschung und Technologieentwicklung präsentiert Thesenpapier zu Technologiesouveränität
Anlässlich des jährlich stattfindenden Neujahrsempfangs des Rates für Forschung und Technologieentwicklung, der pandemiebedingt heuer in virtueller Form abgehalten wurde, begrüßte erstmals die neue Ratsvorsitzende Klara Sekanina die zahlreichen Gäste, darunter Bundesministerin Leonore Gewessler (BMK), Bundesministerin Margarete Schramböck (BMDW) und Bundesminister Heinz Faßmann (BMBWF). In ihrer Einleitung verwies Sekanina auf die zahlreichen Herausforderungen für den Innovations- und Wirtschaftsstandort Österreich, die sich als Ergebnis der Covid-19-Pandemie in den kommenden Monaten und Jahren ergeben werden: „Unternehmenspleiten, Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheit – das sind nur einige der Auswirkungen der Corona-Krise, deren volle Tragweite wohl noch gar nicht absehbar ist. Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation sind der Schlüssel zur Bekämpfung dieser Folgeschäden der Pandemie wie auch im Kampf gegen den Klimawandel und bei der Gestaltung der Digitalisierung und der sogenannten Vierten Industriellen Revolution.“
Diskussion zum Thema „Technologiesouveränität“
In der Diskussion um die Bewältigung der genannten Herausforderungen spielt auch das Thema „Technologiesouveränität“ eine zunehmend wichtige Rolle. Die vom Forschungsrat dazu entwickelten zehn Thesen wurden von Sabine Herlitschka, stellvertretende Vorsitzende des Forschungsrates, präsentiert. Sie betonte dabei die „Dringlichkeit dieses Themas, die nicht erst seit der Covid-19-Pandemie besteht, durch diese aber noch weiter verschärft wurde.“ Und weiter: „System-relevante strategische Technologien erfüllen zentrale Funktionen wie etwa die Sicherung hoheitlicher Aufgaben und die Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse. Zudem spielen sie eine zentrale Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Heutzutage stehen system-relevante Technologien vor allem aber auch für die Werte einer Gesellschaft. In der Umsetzung der Technologiesouveränität müssen wir zwischen dem unterscheiden, was in Österreich getan werden kann und was auf europäischer Ebene unternommen werden muss.“
Zehn Thesen
Die wachsende Bedeutung von Technologien und technologiebasierter Infrastruktur ist eine grundlegende Herausforderung für Österreich und Europa. Gerade im Kontext einer neu zu denkenden internationalen Arbeitsteilung ist es nach Ansicht des Forschungsrates daher dringend notwendig, eine klare Position zu entwickeln. Seine zur Diskussion gestellten zehn Thesen lauten:
Technologiesouveränität
- braucht einen strategischen Umgang mit und nicht die Abkehr von Globalisierung;
- ist auch mit Technologieentwicklung im Ausland zu erreichen;
- ist Daten-/digitale Souveränität;
- braucht Rohstoffsouveränität;
- bedeutet technologiebasierte Resilienz in kommenden Krisen;
- ist ein sicherheitspolitisches Thema;
- bedarf eines breiten, konzertierten Politikmixes;
- bedarf einer genauen Abwägung der Chancen und Risiken für near-shoring/back-shoring;
- bedarf gut funktionierender und krisen-resilienter internationaler und nationaler Technologietransferkanäle;
- braucht eine technologiesensitive Bildungspolitik.
Die Paneldiskussion, an der VertreterInnen aus den fachlich zuständigen Ministerien, der EU-Kommission und des Forschungsrates teilnahmen, unterstrich die Bedeutung des Themas für die künftige Standortentwicklung Österreichs und der Europäischen Union. Einig waren sich die DiskussionsteilnehmerInnen auch dahingehend, dass sich die EU künftig viel deutlicher ihrer Verhandlungsstärke sowohl gegenüber China als auch gegenüber den USA bewusstwerden und diese auch nutzen sollte. Sylvia Schwaag Serger, Mitglied des Forschungsrates, warnte in diesem Zusammenhang vor einer zunehmenden Abhängigkeit Europas von China zu einem Zeitpunkt, zu dem sich China seinerseits unabhängiger macht: „Europa sollte sich als Vorreiter für Offenheit positionieren, ohne seine strategische Handlungsfähigkeit aufzugeben.“
Gleichzeitig verwies Forschungsratsmitglied Jakob Edler mit Blick auf das Stichwort „globale Wertschöpfungsketten“ auf die Notwendigkeit, „in der Diskussion um Technologiesouveränität die Balance zu wahren. Es ist notwendig, jene Technologien, die für unsere Wohlfahrt, unsere Wettbewerbsfähigkeit und unsere staatliche Handlungsfähigkeit herausragende Bedeutung haben, selbst weiterentwickeln zu können, zumindest nicht in einseitige strukturelle Abhängigkeit zu geraten. Gleichzeitig aber brauchen wir auch künftig ausländische Investoren ebenso wie den Zugang zu den kritischen Infrastrukturen anderer Länder.“
Hintergrund
Mit den „Zehn Thesen“ will der Forschungsrat einen Dialog über die notwendigen Prozesse, Kriterien und Prioritäten bei der Entwicklung einer österreichischen Position zur Technologiesouveränität auslösen. Ziel ist es, konkrete Handlungsoptionen zu entwickeln, die es Österreich und der Europäischen Union ermöglichen, kritische Technologie selbst zu entwickeln bzw. den zuverlässigen Zugang zu ihnen zu sichern.
TeilnehmerInnen an der Paneldiskussion waren (in alphabetischer Reihenfolge):
- Prof. Dr. Jacob Edler (RFTE; Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung - ISI)
- Mag. Florian Frauscher (BMDW)
- Dr. Rupert Pichler (BMK)
- Mag. Doris Schröcker (EU Kommission; Generaldirektion „Forschung und Innovation)
- Prof. Dr. Sylvia Schwaag Serger (RFTE; Universität Lund, Schweden)
- Mag. Barbara Weitgruber (BMBWF)
Rückfragen & Kontakt:
DI Dr. Ludovit Garzik – Geschäftsführer des Rates für Forschung und Technologieentwicklung
Tel.Nr.: 01/7131414
E-Mail: l.garzik@rat-fte.at